Kabinengeflüster: Von Käfern und Schweinen

Kabinengeflüster: Von Käfern und Schweinen

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04. Juli 2021

Warum Dolmetschen?

Ich kam zum Dolmetschen wie die sprichwörtliche Jungfrau zum Kinde: meine WG-Genossin während des Erststudiums hatte eine Einladung zum Eignungstest für Russisch, sie wollte aber nicht alleine hingehen. Ich bin also mitgegangen, habe den Test für meine Sprachen bestanden und den mir daraufhin angebotenen Studienplatz mangels Alternativen angenommen. Ich hatte mich bis zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht mit dem Berufsbild Konferenzdolmetschen beschäftigt. Mit meinen zwei Muttersprachen und einem ersten Abschluss in Sprachwissenschaften lag die Sache allerdings auch recht nahe und so habe ich das einjährige Aufbaustudium absolviert. Direkt danach bekam ich eine Anstellung im Sprachendienst eines DAX-Unternehmens in Bonn, wo ich drei Jahre in Vollzeit blieb. 2002 kam dann nach einer sechsmonatigen Teilzeitphase die Selbständigkeit als Übersetzerin und Dolmetscherin.

An unserem Beruf liebe ich in erster Linie die Abwechslung. Jeder Tag, jeder Einsatz ist anders – und dennoch hat man die Gelegenheit, sich jedes Mal etwas tiefer in eine Materie einzuarbeiten. Und ich merke auch nach über 20 Jahren jeden Tag, wie viel es noch zu lernen gibt – terminologisch, fachlich, menschlich. Ich genieße es, gemeinsam mit Auftraggeber:innen die ideale Lösung für ihre Veranstaltungen auszuknobeln. Und die Zusammenarbeit mit professionellen Kolleg:innen ist immer wieder eine Bereicherung. Es gibt für mich in beruflicher Hinsicht nichts Schöneres, als nach einer anstrengenden Veranstaltung gemeinsam mit Team und Auftraggeber:in festzustellen: „Das lief richtig gut!“

Außergewöhnlichster Einsatz

Ich bin seit meiner Akkreditierung für die europäischen Institutionen 2011 immer mal wieder als Dolmetscherin bei Audits bzw. Prüfungen dabei, oft im Bereich Lebensmittelsicherheit oder Landwirtschaft. Dabei haben wir es häufig mit recht ungewöhnlichen Spezialthemen zu tun wie etwa die staatliche Lebensmittel-Notfallreserve, das Eier-Schieren (Durchleuchtung), das Auftreten des Asiatischen Laubholzbockkäfers in deutschen Wäldern oder Schwanzkupieren bei Mastschweinen. Diese Prüfungsreisen beinhalten immer auch das Arbeiten „am lebenden Objekt“ und bleiben daher durchaus in Erinnerung. Eine solche Situation war der Einsatz in einem staatlichen Gefriergutlager irgendwo im Westen Deutschlands, bei dem es um die Überprüfung von tiefgefrorenem Fleisch ging. Mitten im Sommer standen wir bei minus 26 Grad in diesem Hochregallager und begutachteten die dort lagernden Lebensmittelpakete. Mein Kugelschreiber, den ich zum Notieren in der Hand hatte, fror augenblicklich ein und ich musste alles aus dem Gedächtnis dolmetschen. Alles zitterte, auch die Stimme. Als wir nach 10 Minuten wieder in den Besprechungsraum zurückkehrten, kam es mir vor, als wären Stunden vergangen. Eine weitere denkwürdige Begegnung hatte ich Jahre später in einem Stall mit Jungschweinen. Schweine sind von Natur aus sehr neugierig, weswegen sie in der Mast aus reiner Langeweile sich gegenseitig die Ringelschwänze abbeißen. Ich lehnte beim Dolmetschen im engen Gang zwischen den Buchten am Geländer, es war laut und die Augen tränten vom Ammoniak in der Luft. Auf einmal merkte ich, wie die Schweine hinter mir den Schutzanzug am Hintern wegnagten. Es war schon zu spät, sie hatten mir ein Loch reingefressen. Eine komische und zugleich traurige Situation.

Herzensangelegenheit

Auftraggeber:innen würde ich gerne vermitteln, wie lohnenswert es für sie ist, bei einem bzw. einer Dienstleister:in zu bleiben, wenn man sich einmal gefunden hat. Als (beratende) Dolmetscherin stecke ich viel Herzblut in jedes Projekt – wie wohl die meisten professionell arbeitenden Kolleg:innen. Der nächste Auftrag profitiert dann schon von erprobten Abläufen und einem vertrauensvollen Verhältnis auf Augenhöhe. Diese positiven Erfahrungen sollte man sich nicht vergeben, nur weil ein anderer Anbieter ein paar Euro weniger kostet.

An Kolleg:innen appelliere ich immer wieder: denkt unternehmerisch. Dass wir dolmetschen können, setzt man als Auftraggeber:in voraus. Die Art und Weise, wie wir die anderen sieben Achtel unserer Arbeit machen, geben den Ausschlag. Und als Kolleg:innen sind wir immer auch Kund:innen.

Karin Walker
Autorin
Karin Walker

Karin Walker ist Konferenzdolmetscherin für Englisch (A) und Deutsch (A) mit beruflichem Wohnsitz in Bonn und hat über 1.300 Tage bzw. 21 Jahre Erfahrung im Simultan-, Flüster- und Konsekutivdolmetschen für Kunden im institutionellen und Privatmarktsektor.

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