Kabinengeflüster: Eine Ode an die Mehrsprachigkeit

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26. august 2021

Warum Dolmetschen?

„Und, habt ihr auch einen Teppich mitgebracht?“, schallte es uns freudig aus den Mündern unserer Schwarzwälder Freunde entgegen, nachdem wir den steilen Weg zur Hütte auf dem Feldberg bewältigt hatten. Ein großes Fragezeichen schwebte vor meinem geistigen Auge. Ein Teppich mitten auf blühenden Wiesen? Vielleicht ein roter, weil wir uns so auf das Wiedersehen gefreut hatten? Schnell sprang mein Vater, der in Freiburg studiert hatte, als Dolmetscher ein. Natürlich hatten wir die besagten Teppiche, nämlich Decken, dabei, denn auf einer Berghütte kann es nachts schon mal empfindlich kühl werden.

Ich war 6 Jahre und schaute zum ersten Mal über meinen sprachlichen Tellerrand hinaus, der bis dahin nur bis in das westfälische Münster gereicht hatte. Im Schwarzwald klang meine Muttersprache anders, fiel mir auf, irgendwie rätselhaft und dennoch bunt. Der Funke war übergesprungen. Es gab also mehr dort draußen - in der weiten Welt. So begann meine Entdeckungstour. Mit Englisch, Latein und Französisch am Gymnasium und zahlreichen Reisen, die mein kindliches Weltbild bereicherten.

Doch wo spricht man Latein? Nichts lag näher, als die Wurzeln in Italien zu suchen, wo ich bereits mit 10 Jahren für meine deutschen und italienischen Freundinnen und Freunde dolmetschte.  Der Tellerrand war mittlerweile riesig und das Menü aus Kultur, Kunst und Natur wuchs weiter und weiter.

Warum also Dolmetschen? Die Antwort war klar, von Anfang an, und ist es bis heute: Sprache und Sprachen in der Praxis, Auseinandersetzung mit immer wieder neuen Themen, manchmal höllisch fachlich. Sich in jeden Redner, in jede Zuhörerin hineinversetzen und Menschen verbinden. Und dazu Gehirnjogging pur beim Simultandolmetschen. Jeder Einsatz verlangt Höchstleistung und ist ein „Feldberg“, den es immer wieder zu erklimmen gilt.

Außergewöhnlichster Einsatz

Welcher Einsatz wird im Rückblick das Siegerpodest besteigen?

Die weltberühmte Opernsängerin, die in der Fernseh-Talkshow alle mit ihren Koloraturen, ihrem Temperament und ihrer Herzlichkeit ansteckt – und sich beim nächsten Einsatz für einen anderen TV-Sender sogar an mich erinnert? Oder der Politikergipfel auf dem Petersberg, auf dem Weichen für unsere gemeinsame Zukunft gestellt werden? Die Präsentation eines neuen Elektrofahrzeugs, zeitgleich im Streaming an drei Orten der Welt? Oder doch eher das runde Jubiläum eines Traktorherstellers, dessen Mitarbeiter eine in der Freizeit von Hand gefertigte Sonder-Edition überreichen?

Vielleicht ist es aber doch die Patientin, der ich eine gute Diagnose übermitteln darf?

Worauf reduziert sich also alles im Kern? Die Bedeutung des Augenblicks liegt nicht im Spektakulären, sondern in dem, was uns alle – Kund:innen und Konferenzdolmetscher:innen - bewegt. Hier gibt es keine Hierarchien, denn jeder Einsatz hat seine eigene Messlatte. Und die liegt immer hoch.

Herzensangelegenheit

Hinter jedem Projekt, bei dem ich dolmetschen darf, stecken Herz und Verstand.

Natürlich bei mir selbst, aber – und das ist noch viel wichtiger – auch bei meinen Kundinnen und Kunden. Herzblut und Ingenieursgenie, die in die Entwicklung neuer technischer Produkte fließen. Gefühl und Verstand, wenn auf Sitzungen über Persönliches berichtet und die passende Lösung diskutiert wird. Hier ist die Muttersprache als Brücke unübertrefflich. Sie ist die perfekte Bahn, um Gedanken und Worte frei und nuancenreich fließen zu lassen. Diese Details und Feinheiten zu dolmetschen, ist meine Aufgabe als Konferenzdolmetscherin.

Für mich gilt immer: Nicht nur sorgfältige Vorbereitung, Terminologiearbeit und Diskretion sind unverzichtbar. Auch Botschaft und Anliegen unserer Kund:innen stehen bei jedem Einsatz im Mittelpunkt. Sie müssen im Vorgespräch genau definiert werden, damit die Verdolmetschung eine Punktlandung und die Veranstaltung so rundum ein Erfolg wird.

Autorin
Ina Breuing

Ina Breuing, Berufswohnsitz Köln, hat an der Universität Heidelberg Konferenzdolmetschen studiert. Sie arbeitet freiberuflich europaweit mit den Sprachen Deutsch (A), Italienisch (B), Französisch und Englisch (C) für Wirtschaft, Politik und Kultur.

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