Anna Furlan

Kabinengeflüster: Mit Sicherheitsschuhen und Notizblock in einer Abfüll- und Sortieranlage

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19. Januar 2022

Warum Dolmetschen?

Sprachen waren schon immer ein wichtiger Teil meines Lebens. Da ich zweisprachig mit Deutsch und Kroatisch aufgewachsen bin, war Sprachmittlung von Kindesalter an präsent in meiner familiären Umgebung. Auch wenn ich selbst nie als Laiendolmetscherin auftreten musste, habe ich doch bei Freund:innen und Verwandten erlebt, wie sie als „sprachliche Stütze“ für andere Familienangehörige einsprangen und diese bei Behördengängen, Arztterminen oder mit der Stegreifübersetzung von amtlichen Dokumenten unterstützten. Erst in der Oberstufe fand ich heraus, dass es eben nicht nur Laiendolmetscher:innen gibt, sondern auch einen professionalisierten Berufsstand. Nachdem ich mich näher mit dem Beruf und den schier unendlichen Einsatzgebieten beschäftigt hatte, wurde mir sofort klar, dass ich meinen Traumberuf gefunden hatte.

Außergewöhnlichster Einsatz

Viele Menschen gehen davon aus, dass Konferenzdolmetscher:innen stets im Business-Look in ihren Kabinen sitzen und innerhalb dieser geschützten vier Wände internationale Konferenzen dolmetschen. Das ist jedoch nur eines der vielen Settings, in denen Konferenzdolmetscher:innen agieren – wie mein bis dato außergewöhnlichster Auftrag zeigt:

Ich wurde von einem Chemieunternehmen angefragt, einen Technikworkshop zu dolmetschen. Das Unternehmen hatte zwei neue Abfüll- und Sortieranlagen gekauft, jedoch noch nicht in Betrieb nehmen können, da die Techniker die teilautomatisierten Anlagen nicht verstanden und der vom Hersteller engagierte Fortbildungsleiter kein Deutsch sprach. Da der erste Workshop aufgrund der Sprachbarrieren ein Misserfolg war, wurde für den zweiten Workshop auf professionelle sprachliche Unterstützung gesetzt. Für diesen Auftrag musste ich eine komplette Schutzmontur bestehend aus Stahlkappenschuhen, Mantel, Haarnetz und Gehörschutz anlegen und in der lauten Fertigungshalle dolmetschen. Da die beiden Maschinen ausführlich erklärt wurden, musste ich teilweise auf und in die Maschinen hineinklettern, damit ich den Technikern die Einzelheiten und spezifischen Funktionsweisen der Maschinen näherbringen konnte. Als ich kopfüber in der Sortiertrommel hing, um den Technikern einen kleinen Sensor am Boden der Trommel zu zeigen und dessen Konfigurationsmöglichkeiten zu erklären, wurde ich mir der Tatsache bewusst, wie besonders und abwechslungsreich unser Beruf doch ist. Der Auftrag war herausfordernd und spannend zugleich – herausfordernd ob der Umgebung und des Inhalts und spannend, da ich mich in ein für mich völlig unbekanntes Themengebiet einarbeiten und mein neu erworbenes Wissen aktiv anwenden konnte. Das i-Tüpfelchen war jedoch die Tatsache, dass ich innerhalb der ersten Minuten das Vertrauen der Techniker gewinnen konnte, die sich zunächst nicht sehr überzeugt zeigten, dass eine junge Frau einen solchen Workshop dolmetschen könnte. Diese Einstellung legte sich jedoch in kürzester Zeit, sodass sich alle Teilnehmer einbrachten, detaillierte Nachfragen stellten und der Workshop ein voller Erfolg war.

Herzensangelegenheit

Vor allem den Studierenden möchte ich mitgeben, dass sich der ganze Stress und das ständige Üben in den Dolmetschlaboren bezahlt macht. Der Schritt von der Uni hinein ins Berufsleben (und dann noch in die Freiberuflichkeit) kann ziemlich überwältigend sein – besonders in solchen Ausnahmesituationen wie einer weltweiten Pandemie. Man ist jedoch nicht auf sich allein gestellt; man wird von einem wirklich netten Netzwerk von Dolmetscher:innen aufgefangen, die einen unterstützen und alle möglichen Fragen, die man zu Beginn hat, beantworten. Man braucht sicherlich Zuversicht und einen langen Atem, vor allem für den Berufsstart. Aber es lohnt sich. Mit jedem Auftrag sammelt man mehr Erfahrung, lernt neue Dinge dazu, wird sicherer und entwickelt sich weiter. Man muss sich nur die nötige Zeit geben und sich selbst sowie den eigenen Fähig- und Fertigkeiten vertrauen.

Anna Furlan
Autorin
Anna Furlan

Ich bin Konferenzdolmetscherin für die Sprachen Deutsch (A), Englisch (B) sowie Spanisch und Kroatisch (C) mit Berufswohnsitz Bonn. Seit 2020 bin ich Juniormitglied im Verband der Konferenzdolmetscher im BDÜ e. V. und Mentee im Nachwuchsprogramm des VKD.

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